Rheinisches Archiv für Künstlernachlässe

9./10./11. Oktober 2009 Handelsblatt

Rekonstruktion von Erinnerung

An vielen Orten in Deutschland werden Sammlungen von
Künstlernachlässen aufgebaut

CHRISTIANE FRICKE | BONN

„Der steht ja noch nicht einmal im Thieme-Becker-Künstlerlexikon“, beschied im Jahr 1970 der Direktor des Bonner Kunstmuseums dem ratlosen Stadtarchivar von Bonn. Und damit war die Frage nach dem Verbleib der Hinterlassenschaften Walther Raths (1886-1935) vom Tisch.

Die Nachfahren des in Düsseldorf, Weimar und Bonn beheimateten Malers ließen daraufhin das Haus entrümpeln. Verloren gingen so nicht nur der biografische und weite Teile des künstlerischen Nachlasses für die Aufarbeitung des Künstlers, sondern auch das Aktenmaterial der Bonner Künstler- Vereinigung 1914, deren Vorsitzender Rath seit 1919 war.

Fast 40 Jahre später fahndet der junge Bonner Kunsthistoriker Daniel Schütz nach den roten Fäden des Bonner Künstlerlebens. Er studiert Korrespondenzen überlieferter Künstlerfreunde, steigt auf die Dachböden der Nachkommen oder sucht im Müll, den diese bereits auf die Straße stellten. Was er findet, tröstet über manchen durch Ignoranz und Kenntnismangel verursachten Totalverlust hinweg und führt 2008 zur Gründung des Rheinischen Archivs für Künstlernachlässe, Bonn (RAK).

Knapp 30 schriftliche Nachlässe befinden sich bereits unter dem Dach des RAK, darunter auch Hinterlassenschaften, die sich als wertvolle Quellen für scheinbar untergegangene Lebensläufe und künstlerische Szenen erweisen. Im Nachlass des Malers und Dichters ValentinTalaga etwa stößt Schütz auf die Fotos von Werken seines Freundes Richard Schreiber, von dem die Familie so gut wie keine Dokumente verwahrt hat. Es sind die einzigen Zeugnisse vom Frühwerk Schreibers, der Ausstellungen des Jungen Rheinlands mitbestritt und von dem Kunsthändler und Verleger Alfred Flechtheim gefördert wurde. Später wurde er aufgrund seiner Propagandamalerei für die Nazis zur Persona non grata. Sein Gesamtwerk geriet aus dem Blick.

Gertrude Cepl-Kaufmann, Professorin für Kunstgeschichte und Leiterin des Instituts Moderne im Rheinland an der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf sowie Mitbegründerin und Kuratoriumsmitglied des Bonner RAK, weiß, was Archive leisten. „Hier wird im besten Falle auch das aufbewahrt, was nicht der aktuellen Mode und dem herrschenden System folgt“, betont sie. Archive leisten damit Entscheidendes für die Konstruktion von Erinnerung und Umdeutung von Geschichte.

Auch für die Kunstgeschichte sind sie unverzichtbar, „da sie eben auch jene kulturellen Indikatoren sichern, die im Bild selbst nur bedingt aufbewahrt werden können“, ergänzt Cepl-Kaufmann. So könne etwa der Diskurs über die Gegenständlichkeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg nur angemessen aufgearbeitet werden, wenn über die Werke hinaus andere Quellen zur Verfügung stehen.

Eine so verstandene Kunst-Geschichte spiegelt sich zum Beispiel auch im Sammlungsauftrag des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg, das 1852 mit doppelter Funktion als Museum und als Archiv an den Start ging. Zeugnisse der Kultur, Kunst und Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart werden hier zusammengetragen, in dem 1964 gegründeten Deutschen Kunstarchiv dann auch Künstlervorlässe und -nachlässe – das Vorbild für die junge Bonner Einrichtung, allerdings mit bundesweitem Radius.

Fast als eine Art Komplementär versteht sich das ebenfalls bundesweit agierende Archiv für Künstlernachlässe der Stiftung Kunstfonds, Bonn, das zurzeit auf dem Gelände der Abtei Brauweiler in Pulheim bei Köln entsteht. Nicht die schriftliche, sondern die künstlerische Produktion seit dem Zweiten Weltkrieg hat Brauweiler im Blick – und zwar unabhängig von den Moden des Kunstmarktes. Wohl wissend, dass die Kapazitäten und die allzu häufig auf internationale Gegenwartskunst konzentrierten Interessen kommunaler oder landeseigener Museen begrenzt sind, entsteht so ein Reservoir, das künftigen Generationen den Stoff für Neubewertungen und Wiederentdeckungen bietet.

Anders als das RAK Bonn, das sich in der Eigenschaft eines Dokumentenarchivs in erster Linie als universitätsnahe Forschungsstätte begreift, geht es in Brauweiler auch darum, die anvertrauten Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Thomas Deecke, Ex-Direktor des Bremer Sammlermuseums Weserburg und Berater des Archivs, kalkuliert sogar mit einem regen Leihverkehr. Ähnliches praktiziert seit 2003 der HamburgerVerein Forum für Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern. Er berät und erschließt schriftliche und künstlerische Nachlässe mit dem Ziel, sie zu publizieren und für Ausstellungsprojekte zu zeigen.

Den wohl ambitioniertesten Aktionshorizont hat das in Saarlois angesiedelte, schon 1993 gegründete Institut für aktuelle Kunst im Saarland. Hier werden Daten über saarländische Kunstwerke und Künstler gesammelt, der Öffentlichkeit zu Studienzwecken zugänglich gemacht, aber auch Kunstbestände betreut. Fast 160 Jahre nach der Gründung des Germanischen Nationalmuseums erhält die Idee eines Museums als Kunst- und als Quellensammlung eine neue Aktualität.

www.rak-bonn.de
Das RAK sucht noch Sponsoren und Stifter,
die z.B. ein Doktorandenstipendium oder einen Preis ermöglichen
www.gnm.de/archive.html
www.archiv-fuer-kuenstlernachlaesse.de
www.kuenstlernachlaesse.de
www.institut-aktuelle-kunst.de

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